Eine Stellungnahme aus der Sicht eines Beraters für Kriegsdienstverweigerer zur aktuellen Afghanistandiskussion
Das Streben nach Frieden und Gerechtigkeit gehört wohl zu den größten Sehnsüchten der Menschheit. Frieden und Gerechtigkeit zu sichern, ist nach dem zweiten Weltkrieg und der mit dem ersten Atombombenabwurf sichtbar gewordenen Möglichkeit der Selbstzerstörung der Menschheit zur Überlebensfrage geworden. Dies gilt umso mehr, als nicht nur das zerstörerische Potential der Waffen in den letzten Jahren und Jahrzehnten stetig potenziert worden ist. Darüber hinaus sind und können diese Waffen auch in Hände von Staaten und „Privatpersonen“ geraten, die nicht kontrollierbar sind. Gleichwohl zeigt der 11. September 2001, dass der Mensch nicht unbedingt solcher High-Tech-Waffen zur Umsetzung irrationaler Aggressionen bedarf. Gerade dieses Ereignis und die daraus resultierenden Folgen führen aber nicht nur die Aktualität der Frage von Krieg und Frieden, sondern vor allem die Frage nach der Gerechtigkeit vor Augen. Hierzu möchte ich im Folgenden einige Gedanken aus meiner Sicht als Berater für Kriegsdienstverweigerer ausführen.
Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen
Seit über 15 Jahren bin ich in der Beratung von Kriegsdienstverweigerern tätig. Seit mehr als 13 Jahren begleite ich darüber hinaus Kriegsdienstverweigerer, die zu einer mündlichen Anhörung vor den Ausschuss für Kriegsdienstverweigerung geladen werden. Die Grundlage dieser Anhörungen, aber auch des Verfahrens zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer überhaupt bildet der Art. 4, Abs. 3, Satz 1 des Grundgesetzes:
„Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“
Man kann sich also nicht aussuchen, ob man zur Bundeswehr geht oder lieber Zivildienst machen möchte. Auch verweigert man nicht den Wehrdienst. Es geht ausschließlich um die Frage, ob man bereit ist, im Kriegsfall von der Waffe Gebrauch zu machen oder nicht. Hierbei handelt es sich um eine Gewissensfrage. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage, ob die psychische oder physische Vernichtung oder Schädigung menschlichen Lebens im Kriegsfall in Kauf genommen werden kann oder nicht.
Das Dilemma
Diese Aussage hört sich noch relativ theoretisch an. Sie bedeutet aber für den Einzelnen, egal, ob er sich zum Soldatendienst oder zur Verweigerung des Kriegsdienstes entscheidet, eine persönliche und unübertragbare Gewissensentscheidung. Auch der Soldat muss eine solche Entscheidung treffen, denn er muss gegebenenfalls die Tötung oder Verletzung eines Men-schen mit seinem Gewissen vereinbaren können. Ein Soldat dürfte sich deshalb im konkreten Fall in einer Dilemma-Situation befinden, der er nicht entrinnen kann.
Die Frage nach dem Ziel
Noch vor nicht allzu langer Zeit waren die Fronten durch den Ost-West-Konflikt klar gesteckt. Die Bundeswehr war als reine Verteidigungsarmee konzipiert. Die Verteidigung der Demokratie und des Wertesystems der Bundesrepublik Deutschland stellte ein hohes Gut dar, das im Falle eines militärischen Angriffs durchaus eine bewaffnete, eben auch die Tötung menschlichen Lebens in Kauf nehmende Reaktion verantwortbar machte. Trotzdem gab es diejenigen, die dieser „moralischen Verpflichtung“ aus Gewissensgründen nicht folgen konnten und den Kriegsdienst verweigerten.
Drückeberger?
Gerade wegen der ethischen Qualität des Zieles wurde die Kriegsdienstverweigerer in Zeiten des kalten Krieges nicht selten als „Drückeberger“ diffamiert. Dieser Vorwurf wäre berechtigt, wenn sich der Kriegsdienstverweigerer einfach der Verantwortung entziehen wollte. Tatsächlich befindet sich der Kriegsdienstverweigerer in einem der Situation des Soldaten vergleichbaren Dilemma. Es ist ja nicht damit getan, einfach auf die Anwendung von Waffengewalt zu verzichten. Gerade die großen Konflikte der letzten Jahre (erwähnt seien nur die Golfkriege, die Balkankrise, der Krieg gegen den Terror oder der aktuelle Afghanistaneinsatz) haben gezeigt, dass ein gewaltfreies „Nichtstun“ geradezu unmoralisch sein kann. Selbst ursprünglich pazifistische Parteien wie Bündnis 90/Die Grünen haben sich dieser Zerreißprobe nicht entziehen können. Diesem Dilemma, gewaltfrei einen Konflikt und die daraus resultierende physische und psychische Schädigung menschlichen Lebens eben nicht verhindern zu können, kann sich der Kriegsdienstverweigerer nicht entziehen. Auch er bleibt verantwortlich.
Verantwortung für Gerechtigkeit
Das Dilemma lässt sich als solches weder für den Soldaten noch für den Kriegsdienstverweigerer lösen. Beide sollten dem Ziel der Gerechtigkeit folgen. Dabei führt der Soldat dem Kriegsdienstverweigerer vor Augen, dass man aus der Verantwortung zum Handeln nicht entfliehen kann. Umgekehrt kann der Kriegsdienstverweigerer dem Soldaten den Blick schärfen, dass Kriege nie gerecht sein können. Saubere Kriege gibt es nicht. Noch so hehre Ziele können die Tötung oder Verletzung auch nur eines Unschuldigen niemals rechtfertigen. Der Menschheit bleibt es deshalb aufgegeben, die Voraussetzung für einen gerechten Frieden zu schaffen. Daran konkret zu arbeiten ist allen Menschen, eben auch den Soldaten und Kriegsdienstverweigerern aufgegeben. Gerade die Kriegsdienstverweigerer stehen hier allerdings aufgrund ihrer persönlichen Gewissensentscheidung in einer besonderen Verantwortung.
Dr. Werner Kleine
Berater und Beistand für Kriegsdienstverweigerer
Informationen und Beratung für Kriegsdienstverweigerer im Großraum Wuppertal unter 0202-9767433 oder per Mail an werner.kleine(at)katholische-citykirche-wuppertal.de.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Wobei die traditionelle katholische Lehre durchaus den „gerechten Krieg“ kennt. Das beudeutet nicht, dass in einem solchen Krieg jeder gerecht behandelt wird – in diesem Sinn gibt es aber auch keine gerechte Gesellschaft usw. – , sondern, dass die Auseinandersetzung mit Waffengewalt gerechtfertigt sein kann.
Ich finde ihren Kommenat aber im ganzen sehr abgewogen.